E-MTB Laufräder: Eine Bestandsaufnahme
E-MTB Laufräder: Übersicht über Laufräder verschiedener Hersteller
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Sie sind cool, machen Spaß und bringen Menschen neu aufs Bike: E-MTBs sind der Renner. Laut Christophe Immer von Fulcrum „haben E-MTBs jedes Jahr bezüglich der Qualität hinzugewonnen und sich zum Sportgerät für die Masse entwickelt“. Und Christian Lehner von Mavic unterstreicht: „Das E-MTB ist das SUV des Radsports!“ Doch die E-MTBs stellen durch zusätzliche Motorpower große Anforderungen an das Material. Laut einer Untersuchung von DT Swiss fährt der durchschnittliche E-Biker 3500 Kilometer im Jahr, klettert 70.000 Höhenmeter und leitet durchschnittlich 400 Watt in den Antriebsstrang ein. Dazu bringt er ein kurzzeitig maximales Drehmoment von 180 Newtonmeter auf und fährt mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 21 Kilometern pro Stunde. Friso Lohrscheider von DT Swiss stellt fest: „Die Beanspruchungen des Laufrades im E-MTB-Bereich sind deutlich höher. Insbesondere, wenn man den Zeitfaktor berücksichtigt, mutet der durchschnittliche E-Biker seinem Laufradsatz gerade in kurzer Zeit viel mehr zu.“ Deswegen geben wir einen Überblick über E-MTB Laufräder.
E-MTB Laufräder: Leistungsdaten im Überblick
Ein durchschnittlicher Hobbybiker (HB) tritt über eine Stunde 170 Watt, ein Profi 350 Watt. Als kurzzeitige Maximalleistung schafft ein HB 900 Watt, ein Profi 1300 Watt. Weltklassesprinter kommen im Schlusssprint auf bis zu 2200, ein Bahnsprinter wie Robert Förstemann sogar auf 2600 Watt.
Ein E-Bike-Motor hat eine Nenndauerleistung von 250 und eine kurzzeitige Spitzenleistung von 850 Watt. Addiert man die Werte vom Fahrer, erreicht man das Doppelte des normalen Bikers und höhere Werte als ein Profisportler! Fatal für die Komponenten kommt hinzu, dass der E-Motor von Anfang an die volle Leistung abruft.
Andere Fahrgewohnheiten
Im Schnitt liegt das Fahrkönnen durch viele Neueinsteiger beim E-MTB niedriger. E-Biker fahren weniger aktiv, entlasten das Rad in entscheidenden Situationen weniger. „Gerade das Hinterrad leidet.
Wo mit dem normalen MTB ein Bunny Hop gezogen wird, trifft es jetzt direkt auf das Hindernis. Die Felgen müssen deshalb verstärkt werden“, so Michi Grätz (Newmen).
Höhere Systemgewichte
Das Systemgewicht errechnet sich aus der Summe von Rad, Fahrer und Gepäck. Im Schnitt wiegen E-Bikes gut sieben Kilogramm mehr und auch der E-Biker ist schwerer. Bei klassischen Mountainbikes liegen Systemgewichte oft bei 125 Kilogramm.
Wird ein Fahrer mit 100, ein Rad mit 25 sowie ein Rucksack mit 8 Kilogramm addiert, liegt man schon darüber. Michi Grätz von Newmen: „Hohe Gewichte von Bikes, Fahrern sowie die geänderten Fahrgewohnheiten benötigen deutlich höhere Sicherheitsreserven.“ Die Hersteller heben deshalb die Systemgewichte an. Crank Brothers gibt 135, DT Swiss und Fulcrum 150 und Newmen 180 Kilogramm an. Reynolds und Spank unterliegen hingegen keinen Beschränkungen.
Spezielle E-MTB Laufräder sind wichtig!
Aus den genannten Gründen ist ersichtlich, dass Laufräder am E-MTB speziellen Bedürfnissen unterliegen, welche die Hersteller bei der Konstruktion berücksichtigen. Was im Detail anders ist, haben wir mit verschiedenen Herstellern erörtert und gehen im Folgenden darauf ein. Auf Seite 77 gibt es eine Übersicht von E-Bike-spezifischen Laufrädern.
Konstruktion im Detail
Beim Freilaufkörper graben sich Ritzelpakete (Shimano HG Standard) tief ins Aluminium, wodurch die Ritzelabstände und daher die eingefrästen Steighilfen für die Kette zueinander nicht stimmen. Die Schaltqualität leidet. Frisst sich das Ritzel durch den Aluminiumsteg und läuft frei, kann keine Antriebskraft übertragen werden.
Auch der Tausch des Ritzelpakets wird so zum nervenraubenden Zeitproblem. „Die Lösung ist die Fertigung aus gehärtetem Stahl, vor allem bei Shimano HG Freiläufen“, bestätigt Rainer Gerster von Crank Brothers. Und Michi Grätz verrät: „Unsere E-Bike Freiläufe müssen auf dem Prüfstand das 1,66-fache des normalen Standards aushalten und halten nicht nur die benötigten 120.000, sondern mindestens 500.000 Lastzyklen!“
Am Freilauf findet sich eine spezielle Eigenheit bei E-Bikes: Im Motorblock und in der Hinterradnabe ist je ein Freilauf verbaut. Der Eingriffswinkel im Antritt erhöht sich, die Krafteinleitung wird verzögert. Ein kleiner Eingriffswinkel ist wünschenswert, steht aber im Widerspruch mit einer hohen und sicheren Kraftübertragung. DT Swiss wählt für die Hybrid-Serie einen 24-Zähne Zahnscheibenfreilauf, der einen guten Kompromiss aus Kraftübertragung und schnellem Eingreifen darstellt.
Alex Mai von Reynolds: „Im Antritt treten in Summe der Fahrer- und Motorkraft extreme Peitschenkräfte beim Einrasten der Sperrklinken auf. Wir verwenden sechs Sperrklinken, die gleichzeitig zum Einsatz kommen. Greift eine nicht, bleiben immer noch fünf andere übrig“. Fulcrum legt Klinken und Rastkörper groß und massiv aus, unterzieht das Material einem Härtungsprozess. Newmen vergrößert den Zahnscheibendurchmesser und fertigt das Bauteil aus hochfestem Werkzeugstahl.
Achse beim E-MTB
Die Achse beim E-Bike verbiegt sich unter der Spitzenleistung von gut 1800 Watt und einem Drehmoment von bis zu 180 Newtonmetern stark. Dann stehen Lager nicht perfekt gerade, können verkanten und verschleißen schneller. Und auch der Freilauf und damit die Sicherheit leidet, weil Zahnscheiben oder Klinken und Zahnrad nicht perfekt zueinander stehen. Die Hersteller lösen das durch große Achsdurchmesser, dickere Wandstärken sowie Stahl als auch Achsmaterial.
Eine technische Finesse, die aktuell nur am Vorderrad zum Zug kommt, sind Torque Caps. Maximilian Topp von Sram: „Die Größe der Kontaktfläche zwischen Nabe und Gabel beziehungsweise Rahmen ist weitaus ausschlaggebender für die Steifigkeit als der Durchmesser der Achse allein. Die Torque Cap Technologie vergrößert die Oberfläche, die beide Komponenten miteinander verbindet und schafft eine stärkere und steifere Schnittstelle. Das Mehrgewicht fällt dabei nur minimal aus.“ In der Praxis setzt sich zudem der Boost-Standard durch, der am Vorderrad auf 15 x 110 und im Heck auf 12 x 148 Millimeter breite Steckachssysteme setzt.
E-MTB Laufräder: Lager, Nabenkörper, Speichen
Bei Lagern spielt die Traglast eine wichtige Rolle. Das Mehr an Last kann durch größere oder mehrere Lager abgefangen werden. DT Swiss geht den Weg über die Größe und verspricht eine fast doppelt so hohe Drucklastaufnahme. Reynolds setzt am Hinterrad fünf Lager ein (zwei am Nabenkörper, drei im Freilauf). Sehr gut gelöst ist zudem das fein einstellbare Lagerspiel bei Newmen und Syntace. Wichtig ist hier aber auch eine steife Achse!
Am Nabenkörper setzen die Hersteller auf Oversizing bei Wandstärken, Körper, Nabenflansche und Bremsaufnahmen, um den hohen Antriebs- und Verzögerungsleistungen zu begegnen. Ein interessantes Detail findet sich bei Reynolds: Kühlrippen leiten die Hitze besser ab und sorgen für Kühlung am Nabenkörper und damit weniger Hitze bei Lagern und Fett.
Die Speichen werden beim E-Bike gerade im Speichenkopf, -bogen und -gewinde mehr belastet. Daher verwenden die Hersteller verstärkte Modelle, die am und hinter dem Kopf 2,2 bis 2,34 Millimeter stark sind. Eine doppelt konifizierte Version steckt hohe Belastungen durch den verjüngten Mittelteil besser weg. Im Handel erhältliche Speichen für E-MTBs sind die DT Alpine III oder die Sapim Force. DT spricht von etwa 35 Prozent mehr Zugspannung, 51 Prozent besserer Dauerhaltbarkeit bei nur 10 Gramm Mehrgewicht. Aber auch die Idee neuartiger Speichen mit Verstärkung im Gewindebereich wurde uns gegenüber geäußert.
Nippel und Nippelsicherung für E-MTB Laufräder
Bezüglich Nippel gibt es ein Comeback der Messingnippel. Sie sind höher belastbar, ermüden später, sind korrosionsfrei und haben beim Einspeichen selbstschmierende Eigenschaften. Newmen verwendet unter den Nippeln patentierte Beilagscheiben, in die sich der Nippel kraftschlüssig setzen kann und die so die Zugkraft flächiger in die Felge ableiten.
Eine Nippelsicherung über Speichensicherungskleber (DT) oder mechanisch verformte Gewinde (Sapim) verbessern die Dauerhaltbarkeit, weil sich die Nippel im Überlastfall nicht losdrehen können und die Speichenspannung nicht nachlässt.
E-MTB Laufräder: Felgen
Bei den Felgen an E-Bikes sind deutlich mehr Defekte zu verzeichnen, bestätigen Laufrad- und Radhersteller auf Nachfrage. Der starken Beanspruchung des Felgenbodens durch hohe Antriebs- und Bremslasten begegnen die Hersteller mit mehr Wandstärke, optimierten Auflageflächen sowie Austrittswinkeln für den Speichennippel. DT gibt dadurch eine doppelt so hohe Haltbarkeit sowie einen um 20 Prozent höheren Nippelauszug an. Zum anderen werden an E-Bikes meist 2.6 bis 2.8 Zoll breite Reifen eingesetzt. Perfekte Performance bieten diese nur mit niedrigem Luftdruck, wodurch die Gefahr von Durchschlägen, Snakebites und Burping steigt. Die Hersteller setzen daher auf mehr Maulweite und verstärkte Felgenhörner.
Weitere Finessen, die die Performance verbessern, sind asymmetrische Speichenbohrungen (Fulcrum, Reynolds). Sie gleichen Speichenwinkel und -spannung an und machen das Laufrad steifer und haltbarer. Newmen stellt die Felgenhörner um 25 Grad an. Der Kniff vermindert Schäden um circa 40 Prozent, weil Dellen vor allem bei schräg angestellten Laufrädern in Kurven durch Durchschläge entstehen. Im Motocross- und Endurobereich ist dieses Detail übrigens schon lange Standard. Fulcrum wiederum passt Profil, Breite und Höhe den Ansprüchen an Vorder- und Hinterrad an. Für gute Zielführung ist die Felge am Vorderrad höher und steifer. Das flache Profil des Hinterrades fährt sich komfortabler und ist nicht so anfällig gegen Dellen.
Das Gewicht der E-MTB Laufräder? Drittrangig!
Christophe Immer von Fulcrum bringt es auf den Punkt: „Das Dogma der letzten 20 Jahre – das Gewicht – hat beim E-MTB nicht die allerhöchste Priorität. Durch die zusätzliche Motorkraft kommt es vielmehr auf Performance und Haltbarkeit an.“ Im direkten Vergleich bauähnlicher Modelle steigt das Gewicht bei Mavic um 115 Gramm, bei DT um 203 Gramm und bei Newmen sogar um 370 Gramm an.
Was bringt die Zukunft?
Bei Rädern kommen 79er – ein 29er Laufrad mit 2.4 bis 2.5 Zoll breiten Reifen am Vorder- und einem 27,5er Laufrad mit 2.6 bis 2.8 Zoll breiten Reifen am Hinterrad. Das verbessert die Spurführung am Vorderrad durch höheren Luftdruck und weniger wandernde Karkassen und die Traktion am Hinterrad. Die Idee ist bei Motorrädern schon lange Standard. Aber auch verstärkte Karkassen sowie Anti-Plattensysteme werden wichtiger.
E-MTB Laufräder: Fazit
Spezifische E-MTB Laufradsätze sind definitiv sinnvoll und versprechen eine bessere Haltbarkeit bei überschaubarem Mehrgewicht. Viele Hersteller haben ihre Hausaufgaben gemacht, aber es sind noch längst nicht alle.