Lago di Was? Der Iseo-See
Iseo-See: Lago d’Iseo – Reisetipp der bikesport-Redaktion
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Flavio von IseoBike spricht nur ein paar Brocken Englisch und kein Wort Deutsch. Unser Italienisch ist leider auch nicht das Beste. Wenn wir nicht weiter wissen, streuen wir spanische Vokabeln ein. Trotz dieser Barrieren kommen wir ganz gut miteinander zurecht. Wir hatten dem Chef des Bike-Verleihs in Iseo zu erklären versucht, dass wir gleich am ersten Tag in die hohen Berge am Ostufer des Iseo-Sees aufbrechen wollen. „No, no, no“, hatte Flavio protestiert und dabei wild mit den Armen gefuchtelt. Das gehe auf keinen Fall. Wir müssten erst die sanften Hügel der Weinregion Franciacorta kennenlernen, die sich südlich vom Iseo-See in der lombardischen Provinz Brescia ausdehnt. Er erklärte uns, dass das Franciacorta eine noch junge Weinbauregion sei, inzwischen jedoch berühmt für seine ausgezeichneten Schaumweine aus den Rebsorten Chardonnay, Pinot Blanc und Pinot Noir.
Toskana-Feeling in der Lombardei
30 Minuten später: Ob wir gleich mal auf einem Weingut anhalten wollten für eine kleine Frizzante-Verkostung? Erst schütteln wir empört den Kopf. Eine Weinprobe morgens um halb zehn? Mamma mia! Aber dann denken wir: Warum eigentlich nicht? Mit Flavio werden wir heute ohnehin keine Giro d’Italia-Etappe mehr fahren. Wir entspannen uns und genießen es, mit einem kompetenten Reiseführer unterwegs zu sein, der hier aufgewachsen ist, jeden Rebstock persönlich zu kennen scheint, und sichtlich stolz auf seine bei uns weitgehend unbekannte Heimat ist.
Leicht beschwipst cruisen wir durch die Weinberge, mal auf Schotter, mal auf sanften Singletrails. Toskana-Feeling kommt auf. Manchmal halten wir an, schwatzen mit einem Bauern, der auf seinem Traktor dahinzuckelt. Es geht sehr entspannt zu, kein Vergleich zum Gardasee, wo man möglichst die Pole-Position ergattern sollte, wenn man an einem der langen Wochenenden im Juni halbwegs ungestört von Torbole zum Monte Baldo hochstrampeln will.
Für den obligaten Espresso halten wir in einem Café, das sich in einem Bahnhofshäuschen versteckt. Flavio erzählt uns, dass er mehr als 30 Jahre genau die Bummelbahn als Lokführer gesteuert hat, die hier jetzt gleich vorbeifahren wird. Als er mit 48 (!) in Frührente ging, gründete er eine Bike-Station auf, um die magere Pension aufzubessern. Von der Terrasse des Cafés hat man einen umfassenden Blick auf das Naturschutzgebiet Torbiere del Sebino, das südlich an den Iseo-See angrenzt. Flavio erklärt, dass hier früher Torf gestochen wurde. Später versumpfte das Gebiet und wurde zu einem Brutkasten für Stechmücken aller Art. Die See-Gemeinden entschlossen sich deshalb, das Areal zu renaturieren und kleine Weiher anzulegen, die über Wege miteinander verbunden sind. Heute ist das Riserva Naturale ein Paradies für Angler, Ornithologen und Erholungssuchende. Und auch zum Cruisen ist es ganz nett, wenn man Rücksicht auf die Wanderer nimmt.
Am frühen Nachmittag sind wir bereits zurück in unserem kleinen Hotel in Clusane. Das Albergo Punta dell’Est liegt direkt am See, an den Wochenenden steuern Fähren den Steg an. Es gibt eine private Liegewiese, vom Zimmer aus hört man die Wellen plätschern, und beim Frühstück hat man das Gefühl, fast schon mitten im See zu sitzen. Dolce far niente – so lässt es sich auch leben. Die adrenalin-getränkten Körper und die muskelbepackten Waden der Gardasee-Freizeit-Helden sind schon ganz weit weg.
Abends folgt die nächste positive Überraschung: In der gleich neben dem Hotel gelegenen Osteria Pane al Sale kommt als Aperitif natürlich ein Frizzante auf den Tisch, dazu Rohschinken und einheimischer Käse. Dann empfiehlt der Kellner Spezialitäten aus dem See: Fische, deren Namen wir noch nie gehört haben, mal gebraten, mal süß-sauer, mal als rohes Carpaccio. Weiter geht es mit frischen Meeresfrüchten. Die Küste Liguriens ist hier eben ein Stück näher als am nördlichen Gardasee, die Küche folglich wesentlich mediterraner als im Trentino.
Iseo-See: Ganz anders als am unweit entfernten Gardasee
Am folgenden Morgen hängen dichte Wolken über dem See und es ist nahezu windstill. Wir bleiben lange liegen und genießen das Plätschern der Wellen. Unser Programm für heute ist ohnehin überschaubar: Nach dem Frühstück setzen wir mit der Fähre nach Monte Isola über, die größte Insel in einem südeuropäischen Binnengewässer. Sie hat etwa neun Kilometer Umfang und ragt mehr als 400 Meter über die Wasseroberfläche des Lago d’Iseo. Das Beste aber: Auf der Bergspitze liegt die Kirche Santuario della Madonna della Ceriola – und zu dieser kann man hochkurbeln. Was nach einer leichten Übung klingt, wird dann doch noch etwas stressig.
Denn die letzten Kehren auf dem betonierten Weglein fallen uns fast ins Gesicht, so steil sind sie. Oben gibt’s als Belohnung dafür Traumblicke in alle Himmelsrichtungen. Am Horizont im Westen glauben wir sogar den Monte Tremalzo in den Gardasee-Bergen zu erkennen, an dem heute sicher ganze Hundertschaften von Bikern unterwegs sind. Wir hingegen plaudern mit einem Ehepaar aus Schwaben, den einzigen Touristen, die wir zu sehen bekommen. Für die Abfahrt gibt es übrigens mehrere Optionen – man findet sie auf den Tafeln mit den eingezeichneten Wanderwegen. Wer ab Peschiera Maraglio den Pfad Nr. 3 wählt, sollte sein Bike gut beherrschen, denn der Weg ist verblockt und teilweise ausgesetzt, bei Nässe eher nicht zu empfehlen. Gut durchgeschüttelt wie ein Dry Martini kommen wir am See unten an und setzen mit der Fähre nach Iseo zur Gelato-Pause über.
Iseo-See: Zeit für eine härtere Mountainbike-Tour
Nach so viel Müßiggang wird es dann doch Zeit für eine härtere Bike-Tour. Der Monte Guglielmo, mit 1.957 Metern Höhe über dem Meeresspiegel der Wächter des Iseo-Sees und das Pendant zu Monte Baldo und Tremalzo, möchte bezwungen werden. Auf einem schmalen Asphaltsträßchen gewinnen wir schnell an Höhe. Doch die zweite Hälfte des Uphills hat es in sich. Nicht enden wollende Beton-Rampen, gut 25 Prozent steil, bringen uns an die konditionellen Grenzen in der noch jungen Saison. Außerdem ziehen jetzt dunkle Wolken auf und es wird empfindlich kalt. Beim Rifugio Almici bekommen wir die erste Dusche ab.
Wir wissen: Wenn wir jetzt unserem inneren Schweinehund nachgeben und in die gute Stube eintreten, wird das nichts mehr mit dem Gipfel. Wir parken die Bikes hinter der Hütte und steigen zu Fuß – wer noch Körner hat, kann gut zwei Drittel der Strecke im Sattel bleiben – dem höchsten Punkt entgegen. Durch Nebelschwaden erkennen wir die Kapelle auf dem Gipfel und daneben die überlebensgroße Bronzestatue von Papst Paul VI. Leider hält der gerade keine schützende Hand über uns. Es fängt richtig fies zu schütten an und die erhofften Traumblicke auf den See und bis zur Adamello-Gruppe können wir uns im Kopfkino dazu denken.
Nichts wie runter
Nichts wie runter in die schützende Hütte! Der Wirt hat uns schon erwartet und begrüßt uns mit dampfender Pasta und einem Schluck Roten, natürlich aus Franciacorta. Gleich sieht die Welt wieder besser aus. Wir müssen uns richtig zusammenreißen, um hier nicht für den Rest des Tages zu versumpfen, so gemütlich ist es. Als wir eine gute Stunde später vor das Rifugio treten, reißt die Wolkendecke auf und wir bekommen unsere Vista auf den See doch noch.
Nur der Trail, den uns Flavio in die Karte eingezeichnet hat, finden wir nicht. Aber vielleicht ist das auch ganz gut so: Denn der steile, gepflasterte Karrenweg Nr. 227 wäre bei Nässe sicher kein Leckerbissen geworden.
Entdeckergeist und Einsamkeit pur
Am letzten Tag unserer Spritztour an den See, den keiner kennt, starten wir abermals in Marone und kurbeln zuerst einmal 400 Höhenmeter in Richtung Zone zu den berühmten Erdpyramiden – einer einzigartigen geologischen Erosionsformation, die bei italienischen Touristen weit über den Iseo-See hinaus bekannt ist. Dort kann man entweder gleich auf einem kurzen, aber knackigen Trail nach Marone zurückfahren. Oder man macht es so wie wir und vernichtet weitere 600 Höhenmeter bis zum Passabocche.
Abenteurer und Entdecker finden hier noch ein weites Betätigungsfeld: Es gibt unzählige Wege und Pfade, die zum See hinab führen – und kaum vernünftige Beschreibungen und GPS-Daten im Internet. Also einfach ausprobieren und schauen, wo einen der Trail wieder ausspuckt. Einige Kratzer von den Dornenbüschen und auch einige Einbahnstraßen muss man dafür in Kauf nehmen. Aber dafür gibt’s Einsamkeit pur. Der Gardasee – er ist jetzt gedanklich noch viel weiter weg, als es die geschätzt 50 Kilometer Luftlinie vermuten lassen.
Ach ja, Flavio haben wir übrigens nach dem ersten Tag in den Weinbergen nicht wiedergesehen. Er lässt sich entschuldigen, der Magen. Wahrscheinlich waren ihm diese Deutschen aber einfach zu stressig. Und vielleicht hätte er doch noch besser einige Jahre als Lokomotivführer dranhängen sollen, als ins Bike-Business einzusteigen. Aber egal, lustig war es auf jeden Fall mit ihm.
Iseo-See: Informationen
Anreise
Auf der Brenner-Autobahn am Gardasee und Verona vorbei, dann weiter Richtung Mailand. Hinter Brescia der Beschilderung an den Iseo-See folgen. Die Anreise über Mendel-Pass, Val di Sole und Passo Tonale ist kürzer, dauert aber eher länger. Ab München ca. 450 km
Allgemeine Informationen
http://agtiseofranciacorta.it, www.bresciaholiday.com
Wohnen
Albergo Ristorante Punta Dell’Est, Clusane (im Süden des Sees), www.hotelpuntadellest.it, DZ mit Frühstück je nach Saison zwischen 90 und 98 EUR (ein weiterer Vorteil ggü. dem Gardasee: Die Preise steigen auch an den Brückentagen-Wochenenden kaum an). Bikes können in einer abschließbaren Garage im Garten abgestellt werden. Wer will, bucht HP gegen einen Aufpreis dazu.
Essen (in Clusane)
Osteria Pane al Sale, www.osteriapanealsale.it
Ristorante Pizzeria La Barca, www.labarcaclusane.it
Ristorante Pizzeria da Sandro, www.dasandroclusane.it
Iseo-See: Touren
Tour 1, Monte Isola (9 km/470 hm): mit der Fähre von Iseo zur Monte Isola. Mit dem Bike am Ufer entlang nach Sinchignano, weiter bergauf bis zum Santuario della Ceriola. Auf gleichem Weg zurück bis Cure. Hier Weg Nr. 3 bis Peschiera Maraglio folgen. Der Trail wird zum Schluss verblockt und anspruchsvoll, alternativ über die gleiche Strecke wie bei der Auffahrt abfahren.
Tour 2, Monte Guglielmo (42 km/1 900 hm): Achtung auf der Abfahrt (Markierung 227), Kopfsteinpflaster extrem rutschig! Route: Marone – Colpiano – Madonna della Rota – Croce di Marone – Malpensata – Malga Guglielmo di Sotto – Malga Guglielmo di Sopra – Rifugio Almici – Gipfel – Rifugio Almici – Malga Palmarusso di Sopra (ab hier bis Markierung 227, in der Karte nur als Pfadspur eingezeichnet, aber einfach zu finden) – Casentiga (weiter Markierung 227 bis Zone) – Cusato – Markierung 264 über Pado – Dossello – Marone.
Tour 3, Croce Marino (35 km/1 200 hm): fahrtechnisch leichte Tour. Route: Pisogne – Ronchi – Sonvico Superiore – Fraine – Foppello (über die Straße, nicht über den Pfad!) – Croce Marino – Passabocche – Ceto di Sopra – Novezze – Canali – bei der zweiten Rechtskehre Markierung 201 folgen – S. Vittore – weiter über den 201 nach Pontasio – Renzo – Pisogne.